KMU’s: Faktisch kein Rechtsschutz mehr gegen Corona-Verordnungen
Kleine und mittelständische Betriebe haben faktisch keinen Rechtsschutz mehr gegen Coronaverordnungen gerade wegen deren Befristung
Diese Überschrift klingt reißerisch, dient dem Clickbaiting und erwartet der allgemeine Leser maximal von der BILD-Zeitung, aber nicht von einer Rechtsanwaltskanzlei. Ist es das, was Sie in diesem Moment denken? Das kann ich Ihnen nicht verdenken. Umso mehr bitte ich Sie, sich diesen Blogbeitrag durchzulesen und mir zu schreiben, ob Sie danach noch immer der Meinung sind, dass es sich um eine reißerische Titelzeile handelt.
I. Wie funktioniert der Rechtsschutz gegen Corona-Verordnungen?
Ich vertrete einen kleinen Betrieb in Brandenburg. Ein Yoga- und Pilatesstudio. Diesem Betrieb ist es seit Ausbruch der Pandemie im März 2020 insgesamt nun seit 6,5 Monaten durch Rechtsverordnung verboten Yoga- und Pilateskurse anzubieten (konkret durch die: SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnungen des Landes Brandenburg). Als im November 2020 ein erneuter Lockdown durch die Bund-Länder-Konferenz beschlossen worden ist, riet ich dem Betrieb ein Eilverfahren und ein Normenkontrollverfahren einzuleiten. Ich hielt die 1. SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung in Brandenburg aufgrund ihrer darin angeordneten schwerwiegenden Grundrechtseingriffe im November 2020 für rechtswidrig und heute im Februar 2021 bin ich noch stärker davon überzeugt, wie andere Juristen auch (vgl. hierzu beispielsweise die Verfassungsbeschwerde eines Richters vom Berliner Landgericht; Interview des Prof. Dr. Josef Franz Lindner, das Interview der Rechtsanwältin Jessica Hamed oder ganz besonders auch hörenswert dieser Podcastbeitrag mit dem Juristen Hans-Georg Maaßen).
Das Eilverfahren verfolgte zunächst das Ziel, die konkrete Regelung in der SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung vorläufig außer Vollzug zu setzen bis zur Entscheidung im Hauptverfahren, damit der Betrieb weiter geöffnet bleiben kann. Das Eilverfahren haben wir verloren. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg begründete dies im Wesentlichen mit dem Schutz der überragend wichtigen Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit, als auch der Vermeidung der Überforderung des Gesundheitswesens.
Das noch andauernde Hauptverfahren (Normenkontrollverfahren) verfolgt das Ziel vom OVG Berlin-Brandenburg vollumfänglich überprüfen zu lassen, ob die SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung rechtswidrig oder rechtmäßig ist und zwar auch dann, wenn der Lockdown wieder vorbei ist (im Wege einer nachträglichen Feststellung). Im Kern geht es bei diesem Verfahren um die aktuell höchst umstrittene Frage, ob die Schließung von Yoga- und Pilatesstudios verhältnismäßig und der damit einhergehende Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Betriebsinhabers gerechtfertigt ist. Diese Frage ist nach meinem Dafürhalten von höchster Relevanz gerade auch für die Zukunft, denn zum einen scheinen uns noch weitere Corona-Wellen bevorzustehen und zum anderen wird das Coronavirus wohl kaum die letzte Pandemie sein, die uns heimsuchen wird. Wir brauchen also auch eine rechtswissenschaftliche Diskussion und konkrete Rechtsprechung darüber, inwieweit der Staat während einer Pandemie in die Grundrechte seiner Bürger eingreifen darf und woran die Verhältnismäßigkeit solcher Maßnahmen zu messen ist. Aus meiner Sicht stellen sich aktuell eine Vielzahl von ungeklärten juristischen Fragen, die dringend ausdiskutiert werden müssen.
Argumente die Für und Gegen die Rechtmäßigkeit des aktuellen „Lockdowns“ sprechen, finden sich zahlreiche und darüber müssen wir alle – die Gesellschaft, Juristen, Virologen, viele andere Vertreter verschiedenster Wissenschaften und Praktiker diskutieren – das ist der Kern einer jeden Demokratie und wer das schon im Ansatz als eine „unsolidarische“ Geste diffamiert, hat weder das Konzept der Demokratie noch das des wissenschaftliches Diskurses verstanden.
Dass diese Diskussion auch vor Gericht ausgetragen wird ist eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit. Jeder Bürger hat in einem Rechtsstaat das Recht eine staatliche Maßnahme von einem unabhängigen Gericht auf dessen Rechtmäßigkeit hin überprüfen zu lassen. Gleichwohl darf das Exekutivhandeln nicht dazu führen, dass die Bürger dauerhaft dazu gezwungen werden, sich ihre Bürgerrechte vor Gericht zurück zu „erklagen“ (vgl. hierzu die Einschätzung des Rechtsanwalts Kubicki). Ich beobachte es als Rechtsanwältin mit großer Sorge, dass seit Ausbruch der Pandemie dieses Phänomen immer mehr zur Regel wird. Dennoch ist es wichtig und sehr zu begrüßen, dass die streitigen Fragen vor die Gerichte zur Entscheidung kommen für eine öffentliche, fachliche und neutrale Auseinandersetzung mit den verschiedensten Argumenten.
II. Was ist das Problem? – Die Befristung der Corona-Verordnungen schlägt wie ein Bumerang zurück.
Absurderweise erschwert nun ausgerechnet die Befristung der Corona-Verordnungen den Zugang zum Rechtsweg für kleine und mittelständische Betriebe massiv. Denn folgendes Problem ist in dem von mir geführten Verfahren aufgetreten, was mich fassungslos gemacht hat, weshalb ich dieses Problem zur juristischen Diskussion veröffentlichen möchte.
Die SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnungen sind befristet. Denn nur wenn diese schwerwiegenden Grundrechtseingriffe befristet angeordnet werden, können sie überhaupt verfassungsrechtlich zu rechtfertigen sein. Doch diese Befristung, die den Bürger eigentlich vor der dauerhaften Einschränkung seiner Grundrechte schützen soll, schlägt nun wie ein Bumerang zurück und zwingt den betroffenen Bürger (also der, der seinen Betrieb bereits 6,5 Monate zwangsweise schließen musste) faktisch in die Knie, weil er sich die Verfahren nämlich schlicht und ergreifend nicht mehr leisten kann. Denn nach einem aktuellen gerichtlichen Hinweis in dem von mir geführten Verfahren vertritt das OVG Berlin-Brandenburg die Rechtsauffassung, eine Antragserweiterung sei im Normenkontrollverfahren nicht sachdienlich (i.S.d. § 91 VwGO).
Was bedeutet das übersetzt? Es bedeutet, dass der Betriebsinhaber gegen jede einzelne Corona-Verordnung einen eigenen Normenkontrollantrag stellen müsste und die inhaltsgleichen, verlängerten Maßnahmen, die in einer neuen Corona-Verordnung erlassen werden, nicht einfach im Wege (der kostenneutralen) Antragserweiterung geltend gemacht werden können. So wird der umfassende Rechtsschutz für kleine und mittelständische Betriebe unbezahlbar.
III. Was kostet ein Normenkontrollverfahren?
Das OVG Berlin-Brandenburg vertritt nach meinem Verständnis also die Rechtsauffassung, in einen im November 2020 erhobenen Normenkontrollantrag können nicht im Wege der Antragserweiterung (§ 91 VwGO) die nachfolgenden Corona-Verordnungen miteinbezogen werden. Vielmehr müsse der betroffene Betrieb bei jeder neuen – wenn auch inhalts- und sogar wortgleichen – Verordnung erneut einen Normenkontrollantrag stellen. Die Antragserweiterung sei nicht sachdienlich, weil sich die Infektionslage und wissenschaftliche Erkenntnislage von Verordnung zu Verordnung teils in kurzer Zeit verändere.
Auch wenn das Argument zunächst schlüssig klingt, lässt es gewichtigere Aspekte außer Acht: Eine Antragserweiterung ist nämlich dann sachdienlich, wenn der Streitstoff im Wesentlichen der Gleiche bleibt, was hier der Fall ist. Die Verordnungen werden seit November 2020 auf Zeiträume von weniger als 4 Wochen befristet und durch inhaltsgleiche, teils wortgleiche Folge-Verordnungen ersetzt. Einer der Kernkritikpunkte meines Antrags ist gerade, dass die immer gleiche Maßnahme (nämlich flächendeckender Lockdown) verlängert wird, ohne neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen und ein ernsthafter Strategiewechsel noch nicht einmal in Betracht gezogen wird.
Eine Befristung ist nichts wert, wenn sie immer wieder verlängert wird.
Die Antragserweitung von der 1. SARS-CoV-2-Eind auf die Eindämmungsverodnungen Nr. 2 – 6 vermeidet zudem weitere Prozesse, der Streitstoff wird also in seiner Gesamtheit endgültig ausgeräumt. Vor allem aber:
Das Tatbestandsmerkmal der Sachdienlichkeit darf den Zugang zum Rechtsweg nicht faktisch unmöglich machen.
Das ist aber dann der Fall, wenn die Prozesskosten durch mehrere Normenkontrollverfahren derart aufgebläht werden, dass sich die betroffenen Betriebe sie schlichtweg nicht mehr leisten können, gerade wegen der angegriffenen Verordnungen, die ihnen die Einnahmengenerierung doch untersagt!
Bei mittlerweile sechs SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnungen im Land Brandenburg, müsste ich nach derzeitiger Rechtsauffassung des OVG Berlin-Brandenburg bereits sechs Normenkontrollanträge für meine Mandantschaft eingelegt haben. Bei dem von mir vertretenen Betrieb wären das pro (!) Normenkontrollantrag allein schon Gerichtskosten i.H.v. 896 EUR (KV 5112 GKG 4,0 Gerichtsgebühr bei 7.500 EUR Streitwert) oder sogar 1.296 EUR (beim Auffangstreitwert im Gewerberecht von 15.000 EUR). Hinzu kämen pro (!) Normenkontrollantrag Rechtsanwaltskosten nach dem RVG in Höhe von rund 1.696,46 EUR (1,6-Verfahrensgebühr nach VV 3300 Nr. 2 RVG und 1,2-Terminsgebühr nach VV 3104, Vorb. 3.3.1 RVG; bei einem Streitwert von 7.500 EUR) oder sogar 2.416,18 EUR (beim Auffangstreitwert von 15.000 EUR).
Das ergäbe rund 15.500 EUR Prozesskosten (bei Streitwert von 7.500 EUR) oder 22.273,08 EUR (bei Streitwert von 15.000 EUR), die der Betriebsinhaber aufwenden müsste, um die aktuell sechs Corona-Verordnungen im Land Brandenburg gerichtlich überprüfen zu lassen – und weitere könnten erst noch folgen! Der Vollständigkeit halber möchte ich erwähnen, dass die Berechnung der Prozesskosten von mehreren Faktoren abhängig ist (u.a. von dem vom Gericht festgesetzten Streitwert; Stattfinden einer mündlichen Verhandlung etc.). Aber diese Kostenberechnung ist absolut realistisch und wäre das Ergebnis des aktuellen gerichtlichen Hinweises des OVG Berlin-Brandenburg, in dem von mir geführten Verfahren. Die Kosten für nur ein Eilverfahren (um kurzfristig wieder zu öffnen) sind in dieser Berechnung auch noch nicht enthalten.
IV. Wie sollen kleine und mittelständische Betriebe sich das leisten?
Liebe Leser, wenn Sie Inhaber eines kleinen oder mittelständischen Betriebes sind, muss ich Ihnen nicht erklären, was das bedeutet, denn die Gespräche habe ich mit Ihnen bereits geführt.
Liebe Leser, wenn Sie sich in einem Angestelltenverhältnis befinden oder verbeamtet sind, möchte ich Sie bitten sich einmal in diese Situation hineinzuversetzen. Sie haben in den vergangenen 12 Monaten, an 6,5 Monaten kein Einkommen erzielen können, weil es Ihnen verboten ist Ihren Betrieb zu öffnen, sie müssen aber weiterhin Ihre Gewerberaummiete, Betriebskosten oder sogar Kredite abbezahlen. Die viel beworbenen Corona-Hilfen fließen – wenn überhaupt – langsam, sehr langsam. Ein Fitnessstudio, kleine Pilates- oder Yogastudios, Friseure, Gaststätten, private Theater, freiberufliche Künstler, Clubs und Bars, Hotels und Pensionen, Museen, Einzelhändler – sie alle werden nach nunmehr einem Jahr jedenfalls nicht mehr in der wirtschaftliche Lage sein, solche Prozesse führen zu können.
Als Rechtsanwältin bin ich deshalb zu dem für mich erschütternden Ergebnis gekommen: Kleine und mittelständische Betriebe haben – wenn sich diese Rechtsauffassung des OVG Berlin-Brandenburg durchsetzt – faktisch keinen Rechtsschutz mehr gegen Corona-Verordnungen, weil sie ihn sich – je öfter die Befristungen verlängert werden – einfach nicht mehr leisten können.
Nun liebe Leser, schreiben Sie mir bitte Ihre Meinung: War diese Überschrift reißerisch, diente nur dem Clickbaiting oder teilen Sie meine Auffassung?