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Rentenversicherungspflicht für Selbstständige: Warum 30.000 € Nachzahlung drohen können!

16 Juni 2025 | Global Mobility Law, Rechtsblog

Sie sind selbstständig und arbeiten nur für ausgewählte Auftraggeber? Sie beziehen 5/6 Ihres Umsatzes von nur einem Auftraggeber innerhalb eines Jahres? Sie arbeiten länger als ein Jahr nur für einen Auftraggeber? Sie sind als Berater oder Coach selbstständig tätig?

Was viele Selbstständige nicht wissen: Sie sind rentenversicherungspflichtig, wenn Sie auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber arbeiten und keine eigenen Mitarbeiter beschäftigen, oder auch, wenn Sie einfach nur als Berater oder Coach tätig sind.

Haben Sie sich bisher nicht als rentenversicherungspflichtig bei der DRV gemeldet? Dann sollten Sie diesen Blogbeitrag lesen!

1. Scheinselbstständigkeit und Rentenversicherungspflicht bei Selbstständigen – Was ist der Unterschied?

Viele Selbstständige haben Angst vor der Scheinselbstständigkeit. Dabei ist die Rentenversicherungspflicht für Selbstständige mit nur einem Auftraggeber (sog. „Soloselbstständige“ oder früher auch „arbeitnehmerähnliche Selbstständige“) ein viel schärferes Schwert, denn hier tragen allein Sie als Auftragnehmer das hohe finanzielle Risiko von rund 30.000 EUR.

Die DRV verlangt innerhalb von wenigen Wochen rund 30.000 EUR für die vergangenen 4 Jahre von Soloselbstständigen, und zwar nicht nur, wenn die Voraussetzungen der Rentenversicherungspflicht vorliegen, sondern auch, wenn noch gar nicht feststeht, ob Sie tatsächlich den gesetzlichen Tatbestand der Versicherungspflicht erfüllen!  

Bei der Scheinselbstständigkeit hingegen trägt im Ergebnis häufig der Auftraggeber das exorbitante finanzielle Risiko. Stellt die DRV eine Scheinselbstständigkeit fest, muss der Auftraggeber rund 40% Gesamtsozialversicherungsbeitrag für die vergangenen 4 Jahre auf die an freie Mitarbeiter gezahlten Honorare, an die DRV zahlen. Das kann schnell zur Insolvenz für die Unternehmen (Auftraggeber) führen.

Hinweis zur Scheinselbstständigkeit: Eine wichtige Ausnahme besteht bei Selbstständigen, die für ausländische Auftraggeber arbeiten. Hier kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass allein die scheinselbstständigen Auftragnehmer in Deutschland von der DRV in Haftung genommen werden, weil der Auftraggeber im Ausland sitzt. Weitere Details hierzu finden Sie in diesem Blogbeitrag.

Bei der Rentenversicherungspflicht für Selbstständige geht es aber nicht um die Scheinselbstständigkeit, sondern darum, dass Sie verpflichtet sind Rentenversicherungsbeiträge zu zahlen, obwohl Sie selbstständig sind.

Weitere Informationen zur Abgrenzung von Scheinselbstständigkeit und Rentenversicherungspflicht bei Soloselbstständigen finden Sie in diesem Blogbeitrag.

2. Rentenversicherungspflicht bei Selbstständigen

Nur wenn Sie tatsächlich alle Kriterien der Selbstständigkeit erfüllen (also gerade nicht scheinselbstständig sind), stellt sich die weitere Frage, ob Sie trotzdem unter die Rentenversicherungspflicht fallen. Dies ergibt sich aus § 2 SGB VI. In meiner Beratungspraxis bin ich auf die folgenden Fälle spezialisiert:

a. Soloselbständige mit im Wesentlichen nur einem Auftraggeber

Selbstständige (die nicht scheinselbstständig sind!), sind dann verpflichtet Rentenversicherungsbeiträge zu zahlen gem. § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI, wenn:

  • sie keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und
  • auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind

Das Problem: Das Tatbestandsmerkmal „auf Dauer und im Wesentlichen“ ist nicht vom Gesetzgeber definiert worden. Der Gesetzgeber schreibt hierzu lediglich:

„Die Voraussetzung, daß der selbständig Tätige im wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sein darf, umfaßt nicht nur den Fall, daß der Betreffende rechtlich (vertraglich) im wesentlichen an einen Auftraggeber gebunden ist, sondern auch den Fall, daß er tatsächlich, (wirtschaftlich) im wesentlichen von einem einzigen Auftraggeber abhängig ist.“ (S. 20, BT-Drs. 14/45).

Die DRV und die Rechtsprechung haben den Tatbestand anhand von Einzelfällen seither konkretisiert (u.a. Tätigkeit von mehr als einem Jahr, „5/6-Regel“). In der Praxis geben diese unbestimmten Tatbestandsmerkmale trotzdem noch ausreichend Anlass für Meinungsverschiedenheiten mit der DRV.

b. Coach, Unternehmensberater, Trainer, Moderator

Noch unbekannter ist häufig, dass auch Coaches, Trainer, Moderatoren und Unternehmensberater unter die Rentenversicherungspflicht fallen (können), gerade seitdem es immer mehr digitale Geschäftsmodelle für Einzelpersonen gibt.

Nach § 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI sind nämlich auch Lehrer rentenversicherungspflichtig, wenn sie keinen eigenen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen. Der Lehrerbegriff wird jedoch sehr weit ausgelegt, sodass auch Coaches, Unternehmensberater etc. darunter fallen können.

Hinweis: Viele Verdienst- und Werbemöglichkeiten, die sich in den vergangenen Jahren über Social Media Plattformen für Einzelunternehmer ergeben haben, können unter diesen Tatbestand fallen. Einen ausführlichen Blogbeitrag werde ich hierzu in den kommenden Wochen verfassen.

3. Das harte Vorgehen der DRV aufgrund schwammiger Gesetzeslage

a. Unternehmer baden im Einzelfall aus, wofür politisch der Mut fehlt

Das Problem ist, vielen Selbstständigen ist schlichtweg nicht bekannt, dass sie einer Rentenversicherungspflicht unterliegen. Bei Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit informieren sich viele zwar zur Frage, wann eine Scheinselbstständigkeit vorliegt, kennen aber nicht den Unterschied zur Rentenversicherungspflicht trotz Selbstständigkeit und dies wird in Informationsmaterialen häufig auch nicht verständlich genug dargestellt.

Der Gesetzgeber und die DRV haben eine staatspolitische Motivation die Tatbestände möglichst weit zu fassen, gleichzeitig fehlt der politische Mut, einfach alle (und zwar auch Beamte) in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen zu lassen, wie die aktuelle Diskussion um den Koalitionsvertrag 2025 (z.B. hier, hier) gezeigt hat.  

Und so sind die Unternehmer (wie so oft) einer Bürokratie ausgesetzt, die zu absurden, langen und teuren Rechtsstreitigkeiten über schwammige Gesetze führen:  

b. Wie geht die DRV mit vermeintlichen (!) Soloselbstständigen um?

Die DRV geht beispielsweise bei Soloselbstständigen mit nur einem Auftraggeber einen sehr harten Weg:

Die DRV legt die gesetzlichen Regelungen so aus, dass sich jeder Selbstständige bei erstmaliger Aufnahme seiner selbstständigen Tätigkeit bei der DRV melden muss, damit diese die Rentenversicherungspflicht prüfen kann. Diese Auslegung widerspricht nach meiner Rechtsauffassung dem Wortlaut, sowie Sinn und Zweck des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI.

Zum einen kommt es für die Rentenversicherungspflicht auf eine „prognostische Betrachtungsweise“ an (so Berchtold in Knickrehm/Roßbach/Waltermann/Berchtold, 8. Aufl. 2023, SGB VI § 2 Rn. 15), das heißt: Kann ich bei Beginn meiner selbstständigen Tätigkeit für das laufende Jahr erkennen, dass ich auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sein werde? Wenn nein, dann bin ich natürlich auch nicht rentenversicherungspflichtig.

Zum anderen ergibt sich aus § 190a SGB VI ausdrücklich eine Meldepflicht  für Selbstständige nach  § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI innerhalb von 3 Monaten nach Aufnahme ihrer Tätigkeit. Das heißt aber im Umkehrschluss (und übersetzt für Nichtjuristen): Wenn bei Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit die Voraussetzungen der Rentenversicherungspflicht noch nicht erfüllt sind (weil ich beispielsweise schon zu Beginn weiß, dass ich für mehrere Auftraggeber tätig sein werde) besteht eben keine Rentenversicherungs- und damit auch keine Meldepflicht.

Die DRV legt das Gesetz hingegen so aus, dass sich jeder Selbstständige nach Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit bei der DRV melden muss, weil der Selbstständige selbst gar nicht beurteilen könne, ob die Voraussetzungen der Rentenversicherungspflicht vorliegen. Die Rechtsfrage könne nur durch die DRV festgestellt werden. Meldet sich der vermeintliche Soloselbstständige erst später, sei er selbst schuld.

Diese Auslegung ist nach meiner Auffassung nicht zulässig, sondern nur in Zweifelsfällen, nämlich dann, wenn Unklarheit darüber besteht, ob die Voraussetzungen der Versicherungspflicht erfüllt sind.

Wer sich nun erst Jahre später bei der DRV von sich aus meldet, um prüfen zu lassen, ob aktuell (!) Rentenversicherungspflicht besteht (beispielsweise, weil sich die Auftragslage geändert hat), darf erst einmal mit einer saftigen Rechnung von rund 30.000 EUR (dies entspricht dem vollen Regelbeitrag für die vergangenen 4 Jahre) und einer rückwirkenden Prüfung ab erstmaliger Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit rechnen!

Hat sich der Selbstständige erst im Laufe seiner beruflichen Tätigkeit dazu entschieden nur noch für wenige Auftraggeber tätig zu sein oder ergab sich dies einfach aus der Auftragslage heraus, geht die DRV einfach davon, der Selbstständige sei seiner Meldepflicht nicht nachgekommen und rechtfertigt damit die rückwirkende Zahlungsaufforderung für die vergangenen 4 Jahre. Die DRV unterstellt (anhand der auszufüllenden Formulare) einfach, die Versicherungspflicht habe vorgelegen, ohne dies tatsächlich zu prüfen.   

Die DRV erlässt (u.a.) dann den Zahlungsbescheid ohne den Selbstständigen vorher nach § 24 SGB X anzuhören und dies mit einer abenteuerlichen Begründung! Gerade in solchen Fällen ist eine Anhörung keine reine Formalie: Wer von heute auf morgen (auch als Unternehmer) einen Zahlungsbescheid von 30.000 EUR erhält, zu zahlen innerhalb von wenigen Wochen, dürfte zumindest von der Verwaltung erwarten, vorher angehört zu werden und dass der Sachverhalt ausreichend aufgeklärt wird.

Dem Selbstständigen bleibt dann nur die Möglichkeit des förmlichen Widerspruchs gegen die Zahlungsaufforderung von 30.000 EUR. In einem (allein schon administrativ) mühseligen Widerspruchsverfahren müssen dann die gesamten Umsätze offengelegt werden und es wird über die Feinheiten der oben dargestellten Tatbestandsvoraussetzungen gestritten. Und glauben Sie mir, da gibt es sehr viel Diskussionsbedarf: Wann ist eine Beratertätigkeit vergleichbar einem Lehrer? Wann lag der Zeitpunkt vor, dass der Selbstständige auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber arbeitete?  

Schlussendlich macht sich die DRV hier eine schwammige Rechtslage zunutze, die – wie so oft – viel Spielraum für Argumentation offen lässt.

Wieder einmal ein hervorragendes Beispiel dafür, wie Bürokratie das Unternehmertum aktiv behindert, anstatt zu fördern.

4. Was können betroffene Selbstständige tun?

Im Idealfall haben Sie sich mit Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit bereits bei der DRV gemeldet, um sich entweder bestätigen zu lassen, dass Sie derzeit nicht der Rentenversicherungspflicht unterliegen oder (falls ja) die Befreiung für Existenzgründer beantragt. Aber das ist eben häufig praxisfern, zumal wie beschrieben eine Meldepflicht meines Erachtens ohnehin erst besteht, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind (und darüber kann man ausgiebig streiten). Gerade der „Otto-Normalunternehmer“ wird davon ausgehen, einer Meldepflicht erst dann zu unterliegen, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind.

Der einfache Weg wäre darauf zu achten, weniger als 5/6 seines Umsatzes von nur einem Auftraggeber zu beziehen oder einen Arbeitnehmer anzustellen.

Ist auch das keine Option, dann sollten Sie darauf gefasst sein, eine sehr hohe Nachzahlungsforderung von rund 30.000 EUR innerhalb weniger Wochen zahlen zu müssen, wenn Sie sich bei der DRV melden. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens mit der DRV wird die Versicherungspflicht dann umfassend geprüft. Spätestens hier ist es in jedem Fall sinnvoll, sich anwaltliche Unterstützung zu holen, wenn Sie der Auffassung sind, die Voraussetzungen der Versicherungspflicht liegen bei Ihnen nicht vor.

Als Rechtsanwältin habe ich mich auf das grenzüberschreitende mobile Arbeiten (sog. Global Mobility Law) spezialisiert und berate täglich Digitalunternehmen, Selbstständige und Arbeitnehmer rund um das mobile grenzüberschreitende Arbeiten (sog. remote work). Hierzu zählen regelmäßig auch Rechtsfragen zur Rentenversicherungspflicht bei Selbstständigen (mit ausländischen Auftraggebern).

Das sagen Mandanten über meine Arbeit auf anwalt.de und Google.

5. Sie sind Steuerberater/in?

Sie sind als Steuerberater/in (z.B. Fachberater für Internationales Steuerrecht) im Bereich des internationalen Steuerrechts tätig? Kontaktieren Sie mich gerne!

Um meine Mandanten optimal betreuen zu können, vernetze ich mich gerne mit Steuerberatern, die die steuerlichen Deklarationspflichten für meine Mandantschaft übernehmen können und Interesse an einem fachlichen Austausch haben.

Ich freue mich über Ihre Kontaktaufnahme!

Ihre Rechtsanwältin
Romy Graske