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Scheinselbstständigkeit bei Minderheitsgesellschaftern – Wie die DRV aktiv das Unternehmertum in Deutschland erschwert

17 Nov. 2025 | Global Mobility Law, Rechtsblog

In der kreativen Digitalbranche finden sich viele erfolgreiche Solo-Unternehmer, die mithilfe von digitalen Tools „kleine“ äußerst umsatzstarke Unternehmen aufbauen. Zum Unternehmertum gehört dabei aber auch, sich verschiedene Einkunftsquellen aufzubauen und Vermögenswerte zu erarbeiten. Eine davon ist die Beteiligung an Unternehmen als Minderheitsgesellschafter in der Erwartung, dass die Unternehmensbeteiligung gewinnbringend steigt.

In der Vorstellungswelt der DRV hingegen sind Minderheitsgesellschafter „einfach“ als Beschäftigte einzuordnen. Mit der wirtschaftlichen Realität von Gründern und Unternehmern hat das leider gar nichts mehr zu tun.

In diesem Blogbeitrag möchte ich Ihnen schildern, wie die Deutsche Rentenversicherung das Unternehmertum aktiv behindert, aber ein Urteil aus Bayern ein kleines Hoffnungsfeuer aufflammen lässt.

1. DRV: Unternehmer als Minderheitsgesellschafter sind immer als Beschäftigte einzuordnen

Der folgende Fall begegnet mir in meiner Kanzlei so oder so ähnlich immer häufiger:

Ein Webdesigner entwickelt mit anderen Unternehmern, die im Ausland leben und arbeiten, ein digitales Produkt. Die Gründer schließen sich zusammen und gründen im Ausland eine Gesellschaft. Der Webdesigner wird Minderheitsgesellschafter (aber nicht Geschäftsführer) an der ausländischen Gesellschaft und arbeitet auf Grundlage eines sog. Contractor-Agreements (zur Vertiefung Blogbeitrag) weiterhin freiberuflich für das gemeinsame Unternehmen, um das digitale Produkt weiter zu entwickeln und das Geschäft zum Wachsen zu bringen. Während der Webdesigner anfänglich noch für zahlreiche andere Auftraggeber tätig ist, lehnt er zunehmend andere Aufträge ab, um sich auf sein Kernprojekt zu konzentrieren.

Das Problem: Die DRV stuft den in Deutschland lebenden und arbeitenden Webdesigner als Beschäftigen ein. Die ausländische Gesellschaft soll den Webdesigner in Deutschland anstellen. Die Begründung: Der Webdesigner hat als Minderheitsgesellschafter keinen maßgebenden Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft.

Auffassung der DRV: Ein mitarbeitender Gesellschafter einer GmbH, der nicht zum Geschäftsführer bestellt ist, sei regelmäßig abhängig beschäftigt, so die Einschätzung der DRV. Der mitarbeitende Gesellschafter besitzt nicht die Rechtsmacht seine Weisungsgebundenheit als Angestellter der Gesellschaft aufzuheben.

Die DRV lässt alle übrigen Merkmale, die für eine selbstständige Tätigkeit sprechen, vollkommen unberücksichtigt. Die Position als Minderheitsgesellschafter löst nach Ansicht der DRV, gewissermaßen einen Automatismus aus, nämlich:

Mitarbeitende Minderheitsgesellschafter sind immer als Beschäftigte einzuordnen, einfach weil sie Minderheitsgesellschafter sind.  

Ob der Minderheitsgesellschafter Unternehmerrisiko und Unternehmerinitiative auf sich nimmt, ob er weisungsfrei hinsichtlich Arbeitszeit, Arbeitsort und Art der Tätigkeitsausübung ist und dass er weitestgehend nicht in die betriebliche Organisation eingebunden ist (jedenfalls nicht mehr als jeder andere Dienstleister), prüft die DRV gar nicht mehr.

2. Unternehmerrealität: Die Beteiligung an Unternehmen ist ein Paradebeispiel für Unternehmerrisiko und Unternehmerinitiative

Die Einschätzung der DRV führt zu einem völlig absurden Ergebnis: Jeder Minderheitsgesellschafter sei danach automatisch als Beschäftigter einzustufen, obwohl er jederzeit die Möglichkeit hat, sein Contractor-Agreement zu kündigen und nicht mehr für die Gesellschaft, an der er auch beteiligt ist, tätig zu werden. Währenddessen ein Contractor, der nicht an seinem Auftraggeber gesellschaftsrechtlich beteiligt ist, selbstständig tätig sein kann. Wie kann das sein?

Der Webdesigner, der mit anderen Selbstständigen ein Produkt entwickelt, welches sich nach einigen Jahren rentiert, verzichtet im Laufe der Zeit auf andere lukrative Aufträge und konzentriert sich auf dieses Projekt. Er investierte seine Arbeitszeit und Ressourcen in den Aufbau eines digitalen Produkts in der unternehmerischen Erwartung, dass sich zu einem späteren Zeitpunkt Einnahmen aus dem Verkauf des Produkts generieren lassen und seine Unternehmensbeteiligung im Wert steigen wird. In dieser Zeit hat der Contractor mitunter andere, durchaus lukrative Aufträge abgelehnt, weil er sich auf dieses Projekt konzentrieren wollte, denn es bot ihm die vielversprechendste Gewinnchance. Zu diesem frühen Zeitpunkt war aber nicht absehbar, ob sich diese Gewinnchance realisieren wird.

Was, wenn nicht das, ist das Eingehen von Unternehmerrisiko und das Aufwenden von Unternehmerinitiative?

Der Webdesigner unterliegt keiner Weisungsgebundenheit hinsichtlich Arbeitszeit und Arbeitsort, zumal dieser ausschließlich in Deutschland physisch tätig ist. Er benutzt seine eigene Hard- und Software, soweit dies technisch möglich ist und auch inhaltlich ist der Webdesigner in der Ausgestaltung seiner Tätigkeit vollkommen frei.

Und trotzdem: Die DRV prüft in einem solchen Fall noch nicht einmal, ob die übrigen Merkmale, die für eine selbstständige Tätigkeit sprechen, erfüllt sind. Die fehlende Rechtsmacht als Minderheitsgesellschafter sei hier das alleinige Merkmal, auf das die DRV ihre Entscheidung stützt.

3. Ein aktuelles Urteil gibt Hoffnung!

Ein aktuelles Urteil des LSG Bayern, vom 11.08.2025 – L 7 BA 62/24 gibt hingegen Hoffnung!

In dem Urteil wird herausgearbeitet, dass auch ein Minderheitsgesellschafter als freier Mitarbeiter tätig sein kann.

Worum geht es in dem Urteil im Detail?

In dem Fall wurde ein Statusfeststellungsverfahren durchgeführt. Ein Steuerberater ist mit 25% an einer Steuerberatungsgesellschaft-GmbH beteiligt, aber nicht (mehr) Geschäftsführer. Die GmbH und der Steuerberater schlossen einen Vertrag über eine freie Mitarbeit.

Die DRV und das Sozialgericht Augsburg entschieden zunächst, dass es sich hierbei um ein Beschäftigtenverhältnis handle. Im Wesentlichen mit der Begründung, mitarbeitende Gesellschafter mit einer Kapitalbeteiligung bis zu 50% seien an die Weisungen des Geschäftsführers gebunden und hätten nicht die Rechtsmacht, Weisungen zu verhindern, die ihnen als „Angestellte“ nicht genehm seien. Der Steuerberater habe keinen maßgebenden Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft, weil er nur Minderheitsgesellschafter sei.

Das LSG Bayern hat nun in einer ganz erfrischenden Begründung detailliert erläutert, warum hier eine selbstständige Tätigkeit vorliegt:

  • Es komme auch bei Minderheitsgesellschaftern einer GmbH auf die Beurteilung des Gesamtbildes an, d.h. welche Merkmale der Abhängigkeit und der Selbstständigkeit überwiegen (Tz. 30). Die fehlende gesellschaftsrechtliche Rechtsmacht des Minderheitsgesellschafters ist also nicht das alleinige Entscheidungsmerkmal (Tz. 32).
  • Wird neben der Gesellschafterstellung noch eine zusätzliche Tätigkeit für die Gesellschaft ausgeübt, müssen diese zusätzliche Tätigkeit bzw. die vertragliche Vereinbarung darüber und die tatsächliche Durchführung, gesondert beurteilt werden und zwar nach den allgemeinen Abgrenzungskriterien (Tz. 36, 37).
  • Entscheidend für die selbstständige Tätigkeit des Steuerberaters sei hier, dass es keinerlei Vorgaben gab, wann, wo und wie er die übernommenen Einzelaufträge bearbeitete und er musste zu keiner Zeit in den Räumen der Steuerberatungsgesellschaft anwesend sein.
    „Bei freiberuflichen Tätigkeiten ist die Vorgabe von Terminen üblich, genauso eine inhaltliche Abnahme, vergleichbar der Abnahme eines Werkes, ob der Auftrag wie vereinbart erfüllt wurde.“ (Tz. 40). Diese Aussage, eigentlich eine Selbstverständlichkeit in der Privatwirtschaft (und vor allem für Selbstständige!), wird von der DRV und auch der Rechtsprechung immer wieder negiert.
  • Die unternehmerische Gestaltungsmöglichkeit ergebe sich aus der pauschalen prozentualen Vergütung des Steuerberaters. Je kürzer die Bearbeitungszeit für den Einzelauftrag, desto höher der Gewinn. Je länger die Bearbeitungszeit, desto niedriger ist seine faktische Stundenvergütung (Tz. 42).
  • Das Unternehmerrisiko bestehe hier darin, dass der Steuerberater eine monatliche Pauschale für zur Verfügung gestellte Ressourcen zahle, die eben auch zu zahlen sei, wenn er wegen Krankheit, Urlaub ausfiele oder einfach Aufträge ausbleiben (Tz. 42).

Dieses Urteil ist für mich als spezialisierte Anwältin für Künstler & Unternehmer im Global Mobility Law eine Wohltat, denn die sozialgerichtliche Rechtsprechung lässt gerade bei Dienstleistungsberufen (wie Webdesigner, Softwareentwickler, Berater) häufig die unternehmerische Wirklichkeit völlig außer Acht. Freie Zeiteinteilung, keine eigenen Mitarbeiter, ortsunabhängiges Arbeiten, ein geringes finanzielles Unternehmerrisiko (weil kein produzierendes Gewerbe) machen aus Dienstleistern häufig „Beschäftige“, weil diese eben auch so arbeiten. Damit unterliegen sie einem sehr hohen Scheinselbstständigkeitsrisiko.

Das wird der aktuellen digitalen Wissens- und Kreativindustrie an keiner Stelle gerecht.

Was die DRV und auch die sozialgerichtliche Rechtsprechung nach meinem Eindruck noch zusätzlich völlig außer Acht lassen: Schon der Gesetzgeber erkennt an, dass sogar Solo-Selbstständige ohne eigene Mitarbeiter und mit nur einem Auftraggeber selbstständig tätig sein können. Gemäß § 2 Nr. 9 SGB VI ordnet der Gesetzgeber nämlich genau für diese Selbstständigen eine Rentenversicherungspflicht an, obwohl sie selbstständig sind. Verfügt der Selbstständige aber darüber hinaus über eine Minderheitsbeteiligung an seinem Auftraggeber, ist er ein Beschäftigter.

Logisch ist das nicht. Der unternehmerischen Realität entspricht es schon gar nicht.

4. Das Statusfeststellungsverfahren – ein „vergiftetes Geschenk“

Einmal abgesehen von den inhaltlichen Unwägbarkeiten der Einordnung als Beschäftigter und Selbstständiger, zeigt dieses Urteil aber noch einen weiteren wesentlichen Aspekt auf:

Das Statusfeststellungsverfahren schafft nur Bürokratie und trägt nichts zur Lösung bei, weil es viel zu lange dauert.

In dem oben beschriebenen Gerichtsverfahren wurde das Statusfeststellungsverfahren beispielsweise am 05.08.2022 eingeleitet. Der Bescheid der DRV erging am 14.02.2023 (nach 6 Monaten!), der Widerspruchsbescheid am 03.11.2023 (nach 15 Monaten!) nach dem das Statusfeststellungsverfahren eingeleitet worden ist. Das Urteil in der 2. Instanz ist jetzt am 11.08.2025 ergangen, also 3 Jahre (!) nach Einleitung des Statusfeststellungsverfahrens. Ob es noch in eine weitere Instanz geht, ist bisher nicht bekannt.

Drei Jahre auf solch eine Entscheidung warten zu müssen, ist schlicht und ergreifend völlig praxisfern. Damit ist dem Unternehmen als Auftraggeber und dem Unternehmer als Auftragnehmer nicht geholfen.

Nach meiner Erfahrung dauern Statusfeststellungsverfahren bei ausländischen Auftraggebern sogar noch wesentlich länger. Besonders problematisch: Die Beteiligten müssen dann für die relevanten Jahre nachträglich den Gesamtsozialversicherungsbeitrag nachzahlen. Bei einem ausländischen Auftraggeber ist das vor allem für den Auftragnehmer in Deutschland ein nicht mehr tragfähiges wirtschaftliches Risiko.

Zwar gibt es mittlerweile zwei Möglichkeiten, unter bestimmten Umständen ein Statusfeststellungsverfahren einzuleiten, bei dem es nicht zur nachträglichen Zahlungspflicht des Gesamtsozialversicherungsbeitrages kommt, aber diese Verfahren sind nach wie vor praxisfern. In dem hier beschriebenen Fall „wachsen“ die Unternehmer in die „Scheinselbstständigkeit“ faktisch rein, ohne es zu bemerken. Ein Statusfeststellungsverfahren nach §7a Abs. 5 SGB IV oder auch eine Prognoseentscheidung nach §7a Abs. 4a SGB IV, müssen entweder unmittelbar zu Beginn der streitigen Tätigkeit oder sogar noch davor eingeleitet werden. Zu diesem Zeitpunkt sind die Unternehmer aber häufig erst einmal „kostenlos“ für das Unternehmen tätig bzw. erhalten nur sehr geringe Honorare, die sie neben ihren anderen Aufträgen als selbstständige Unternehmer erzielen. Es geht für den Minderheitsgesellschafter darum, sich nebenbei einen weiteren Vermögenswert (das sind die Geschäftsanteile an dem Unternehmen) aufzubauen und die Unternehmung zum Erfolg zu führen. Der Erfolg (oder auch Misserfolg!) zeigt sich aber häufig erst Jahre später. Dann ist die Einleitung des Statusfeststellungsverfahrens aber nicht mehr ohne erhebliche finanzielle Risiken möglich. All diese Gesamtumstände, die exemplarisch für Unternehmerinitiative und Unternehmerrisiko sind, werden von der DRV aber überhaupt nicht berücksichtigt, sondern es wird blind auf die Gesellschafterstellung abgestellt.  

Liest man die Bescheide der DRV drängt sich einem deshalb der Verdacht auf: Es geht nicht um eine neutrale Beurteilung des jeweiligen Auftragsverhältnisses, sondern vielmehr darum, immer mehr Menschen in die Sozialversicherungspflicht einzubeziehen. Weil politisch die Kraft und der Mut fehlt, werden über realitätsferne Argumentationen und allgemeine Textbausteine aus Unternehmern Beschäftigte gemacht, ohne das eine ernstgemeinte inhaltliche Auseinandersetzung mit dem konkreten Einzelfall erfolgt.  

Das behindert Unternehmertum und damit Wirtschaftswachstum, vor allem wenn man bedenkt, dass wir uns seit der Einführung der KI inmitten einer neuen industriellen Revolution befinden.

Mir berichten regelmäßig Künstler und Unternehmer, dass sie aktuell ihre Geschäftstätigkeiten völlig neu überdenken müssen, weil sie massive Umsatzeinbrüche in Folge der KI haben. Mir berichten auch Auftragnehmer, dass große Unternehmen in Deutschland die Beauftragung von Einzelunternehmern vollständig ablehnen, aufgrund der rechtlichen Unsicherheiten und finanziellen Risiken in Zusammenhang mit der Scheinselbstständigkeit. Auch das ist ein Grund für Einzelunternehmer, verstärkt nach ausländischen Auftraggebern zu suchen.

Für mich als Anwältin ist es sehr frustrierend zu sehen, wie innovative, ehrgeizige Künstler und Unternehmer mit großen Rechtsunsicherheiten ihr Business aufbauen, begleitet von immensen Sorgen aufgrund der hier beschriebenen Rechtsunsicherheiten.

5. Ich bin Ihre Spezialistin für Global Mobility Law in Deutschland

Als Rechtsanwältin habe ich mich deshalb auf das grenzüberschreitende mobile Arbeiten (sog. Global Mobility Law) in der Kreativ- und Digitalbranche spezialisiert und berate täglich kleine und mittelständische Digitalunternehmen, Selbstständige und Arbeitnehmer rund um das grenzüberschreitende mobile Arbeiten (sog. cross-border remote work).

Das sagen Mandanten über meine Arbeit auf anwalt.de und Google.

Ich bin der festen Überzeugung, dass das grenzüberschreitende mobile Arbeiten nicht an der deutschen Bürokratie scheitern darf. Deshalb habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, verständliche und pragmatische Lösungen für Digitalunternehmen und Unternehmer zu entwickeln, um die remote Arbeit mit Bezug zu Deutschland umzusetzen.

6. Sie sind Steuerberater/in?

Sie sind als Steuerberater/in (z.B. Fachberater für Internationales Steuerrecht) im Bereich des internationalen Steuerrechts tätig? Kontaktieren Sie mich gerne!

Um meine Mandanten optimal betreuen zu können, vernetze ich mich gerne mit Steuerberatern, die die steuerlichen Deklarationspflichten für meine Mandantschaft übernehmen können und Interesse an einem fachlichen Austausch haben.

Ich freue mich über Ihre Kontaktaufnahme!

Ihre Rechtsanwältin
Romy Graske