Die Gaming Branche und die Scheinselbstständigkeit

16 Jan 2020 | Rechtsblog

Digitale Unternehmen aus der Gaming Branche und die Scheinselbstständigkeit – Ein Beispiel für die Arbeitswelt 4.0 und die Herausforderungen für unseren Sozialstaat. 

1. Ausgangsproblematik – Ein digitales Produkt. Ein digitales Unternehmen. 

In unserer Beratungspraxis begegnet uns immer häufiger die „Problematik“, dass digitale Unternehmen überwiegend Freelancer beschäftigen. Das sind beispielsweise Unternehmen aus der Gaming-Branche im E-Sports Bereich.

So ein Unternehmen hat in Deutschland seinen Geschäftssitz. Doch es ist ganz anders, als man sich ein mittelständisches Unternehmen vorstellt. Es gibt keine Büro’s in Deutschland, in denen die Mitarbeiter gemeinsam sitzen und arbeiten. Der Unternehmensinhaber lebt zwar in Deutschland, doch führt er sein Unternehmen ausschließlich digital. Seine Mitarbeiter und Auftragnehmer (Freelancer) sind in der ganzen Welt verstreut.

Wie geht das?

Das Unternehmen stellt ausschließlich digitale Produkte her. Es bietet beispielsweise Online-Tutorials an oder ist Sponsor eines E-Sportteams. Die Kommunikation innerhalb des Unternehmens erfolgt nur auf Englisch. Die Auftragnehmer pflegen die Social-Media Kanäle (YouTube, Instagram, Twitch etc.), beantworten Kundenanfragen aus aller Welt und produzieren Videos. Das sind allesamt rein digitale Dienstleistungen, wofür man nicht in einem Büro und schon gar nicht gemeinsam in einem Land sitzen muss.  

So ist es für diese Unternehmen eine absolute Selbstverständlichkeit mit Freelancern aus Kanada, USA, Südamerika, Australien, Neuseeland, England, Belgien (u.v.m) zusammen zu arbeiten. Es gibt keine festen Arbeitszeiten, es gibt keinen gemeinsamen Arbeitsort.

Einzige Vorgabe: Eine stabile und schnelle Internetverbindung, ein Laptop und natürlich die nötige Expertise für die jeweilige digitale Dienstleistung.

2. Arbeit 4.0 und die Scheinselbstständigkeit

Befindet sich der tatsächliche Unternehmenssitz in Deutschland oder jedenfalls innerhalb Europas, wirft das schnell die Frage der Scheinselbstständigkeit auf.

Was genau Scheinselbstständigkeit überhaupt ist, haben wir bereits in diesem Videoblog einmal erklärt.

Der Unternehmensinhaber, meist selbst noch relativ jung, macht sich in diesen Fällen kaum Gedanken zum Thema Scheinselbstständigkeit. Warum auch sollte ein Unternehmen aus Deutschland einen Dienstleister in Amerika, Kanada oder Neuseeland als Arbeitnehmer anstellen? Schließlich kann er nicht eben einmal in das Büro seines vermeintlichen Arbeitnehmers spazieren und überprüfen, ob er auch 8 Stunden lang arbeitet und ihm entsprechende Vorgaben machen.

Doch was ist mit seinen Freelancern innerhalb Europas?

Hier besteht durchaus die erstzunehmende Problematik der Scheinselbstständigkeit, wenngleich sich die Sozialversicherungssysteme in den einzelnen Ländern innerhalb Europas unterscheiden mögen.

Auch wenn ein mittelständisches Unternehmen in dieser Größe schon ordentliche Umsätze erzielt. Es ist trotzdem eine rechtliche und verwaltungstechnische Mammutaufgabe für Startups und mittelständische Unternehmen in mehreren Ländern innerhalb Europas diese Freelancer „vorsichtshalber“ anzustellen, nur um dem Damoklesschwert der Scheinselbstständigkeit im vorauseilendem Gehorsam vorzubeugen.

Stellen Sie sich einmal vor: So ein Unternehmen hat beispielsweise 8 Mitarbeiter in Deutschland, 4 in England, 3 in Österreich, 1 in den Niederlanden, 1 in Belgien – eine im E-Sports-Bereich durchaus übliche Konstellation.

Das Unternehmen in Deutschland müsste in 5 verschiedenen Ländern einen Steuerberater mit der Lohnbuchhaltung beauftragen, wenn es 100% rechtssicher eine mögliche Scheinselbstständigkeit vermeiden will. Allein schon der Verwaltungsaufwand lässt einen Unternehmer (völlig zu Recht) erschaudern.

Diese mittelständischen Unternehmen (oder oftmals noch Start-Ups) verfügen noch nicht über die Ressourcen, eine eigene Rechtsabteilung damit zu beschäftigen dies dauerhaft zu überwachen, neben den vielen anderen Rechtsvorschriften die es zu überwachen gilt.

Also wird die einzig praktische und gangbare Lösung sein: Die Mitarbeiter werden als Freelancer beschäftigt werden, mit der im Hintergrund schwelenden und dauerhaften Gefahr einer Scheinselbstständigkeit. 

3. Scheinselbstständig oder Selbstständig?

Sind diese Freelancer denn überhaupt scheinselbstständig oder nicht ganz klar selbstständig?

Prüfen wir dies einmal kursorisch aus deutscher Sicht durch:

Mittlerweile definiert das Gesetz in § 611a BGB wer als Arbeitnehmer nach deutschem Recht anzusehen ist:

Ein Arbeitnehmer ist hiernach, wer:

  • weisungsgebunden (bzgl. Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit),
  • fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit erbringt,
  • seine Tätigkeit nicht frei gestalten und seine Arbeitszeit nicht frei bestimmen kann.
  • Es kommt auf eine Gesamtbetrachtung aller Umstände an, ob jemand Arbeitnehmer oder selbstständig ist.

Kriterien, die für eine Selbstständigkeit sprechen sind nach der Rechtsprechung hingegen:

  • eigenes Unternehmerrisiko
  • das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte
  • die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft
  • im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit

Wer in einem anderen Land als sein Chef oder Auftraggeber lebt und arbeitet, ist in der Regel frei in der Ausgestaltung seiner Arbeitsdurchführung, Arbeitszeit und Arbeitsort.

Gleichwohl gibt es Wettbewerbe, Live-Veranstaltungen oder Video-Meetings in der Gaming-Branche an denen der Mitarbeiter auch physisch teilnehmen muss.

Im E-Sport treffen sich E-Sportler beispielsweise in einem Gaminghaus, um sich dort gemeinsam als Team auf Wettbewerbe vorzubereiten.

Aus Gründen der Einfachheit und Planungssicherheit erhält der Freelancer ein monatlich gleiches Einkommen, einen Pauschalbetrag.

Vor allem: Die Freelancer selbst sind es, die die Selbstständigkeit wählen. Sie möchten so viel Freiheit und Unabhängigkeit wie möglich. Sie möchten nicht an feste Arbeitszeiten, feste Strukturen oder einen bestimmten Ort gebunden sein.

Solche sog. digital natives oder auch digital nomads scheuen den 9-to-5 Job wie der Teufel das Weihwasser. Das ist ein zunehmendes Phänomen der sog. Generation Y, was für die Babyboomer-Generation nicht nachzuvollziehen ist.

Nach derzeit geltendem Recht kommt es aber jedenfalls nicht darauf an, ob der Freelancer selbständig sein will oder nicht. Im Zweifel wird er durch die Feststellung der Scheinselbstständigkeit in die Arbeitnehmerstellung gezwungen (vgl. § 611a Abs. 1 S. 6 BGB).

Sie können es drehen und wenden wie Sie wollen: Sie werden immer für beide Seiten pro und contra Argumente finden. Deshalb steht sogar schon im Gesetz:

§ 611a Abs. 1 S. 5 BGB

 „Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen.“

Eine höchst unbefriedigende Regelung in der anwaltlichen Praxis und vor allem für die Unternehmen!

Diese Regelung sagt nichts anderes aus als: Es kann so sein oder eben auch ganz anders. Das Risiko trägt (wie so oft), der mittelständische Unternehmer.

4. Was wird die Zukunft bringen? Der Kollaps unseres Sozialversicherungssystems. 

Wer die derzeitigen politischen Bemühungen verfolgt, sich dieses Problems anzunehmen, wird enttäuscht. Es zeigt sich ein eher düsteres Bild:

So haben 15 Großunternehmen in Deutschland im Jahr 2018 einen Brandbrief an das Arbeitsministerium geschrieben, in dem es wohl (der Brief ist öffentlich nicht zugänglich) um die dauerhaft drohende Scheinselbstständigkeit bei IT-Fachleuten geht und die damit einhergehenden gravierenden Folgen für die Wirtschaft und unser Land. 

Eine aktuelle Stellungnahme der Bundesregierung zu der Problematik IT-Freelancer und Scheinselbstständigkeit finden Sie hier. Große Visionen oder ernstzunehmende Änderungsvorschläge finden sich hier nicht. 

Ganz besonders bedenklich sind die Aussagen, die sich jüngst in der Folge 1327 vom 28.11.2019 (bei Minute 35) von Markus Lanz finden und die politischen Antworten, die darauf gegeben werden:

Darin stellt der Moderator des ZDF, Markus Lanz fest:

„Die Bundesbank hat errechnet, dass wenn es mit der Rente so weitergeht, fahren wir Deutschland in genau 15 Jahren an die Wand. Deutschland wird in 15 Jahren pleite sein. Um das zu verhindern gibt es die folgenden Alternativen:

  1. Die Beitragssätze um 45% zu erhöhen oder
  2. die Mehrwertsteuer um 7% zu erhöhen oder
  3. den kompletten Etat des Landes nur noch in Renten und Soziales zu „investieren“ oder
  4. 1 Million Netto Zuwanderer pro Jahr müssen nach Deutschland kommen, zur Schaffung neuer beitragspflichtiger Arbeitsplätze.

Nur so könne das System weiter funktionieren.“

Hieran zeigt sich, dass mittelständische digitale Unternehmen derzeit kaum ernsthaft darauf hoffen können, dass „die Politik“ sich des Problems ernsthaft annehmen wird. Dies lässt vielmehr den Schluss zu, dass die sozialversicherungsrechtlichen Betriebsprüfungen in den kommenden Jahren/Jahrzehnten erst recht ausgeweitet und noch mehr Solo-Selbstständige als Arbeitnehmer eingestuft werden, weil die „Kassen schlichtweg leer“ sind.

Diese Tendenz zeigt sich auch anhand der nachfolgenden Zahlen:

Die Anzahl der freiwillig eingeleiteten Statusfeststellungsverfahren stieg im Zeitraum von 2007 – 2016 von 16.666 auf 22.629, also um ca. 36%. Das Statusfeststellungsverfahren ist ein freiwilliges Verfahren, indem sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer freiwillig durch die Deutsche Rentenversicherung überprüfen lassen können, ob sie als selbstständig oder als Arbeitnehmer von den Sozialversicherungsträgern angesehen werden.

Während im Jahr 2007 von diesen freiwillig eingeleiteten Verfahren noch 78,8 % als selbstständig eingeordnet wurden, waren es 9 Jahre später nur noch 55,9 %. Die Anzahl der Selbstständigen hat sich nach der Entscheidung der Deutschen Rentenversicherung insgesamt also um 22,9 % reduziert über einen Zeitraum von 9 Jahren. Oder anders ausgedrückt: Die Anzahl der Arbeitnehmer (sog. sozialversicherungspflichtig abhängig Beschäftigte) hat sich verdoppelt. (Nachweis: BT-Drucksache 18/11982, S. 3).

Nun kann es für diese Entwicklung natürlich eine Vielzahl von Gründen geben. Nach dem Vorhergesagten kann ein Unternehmer aber nicht ernsthaft darauf hoffen, dass diese Tendenz sich nicht fortsetzt – im Gegenteil: Solange „die Politik“ keine Antwort auf den demografischen Wandel findet, kann die Lösung nur in der massiven Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge bestehen und in der Ausweitung der sozialversicherungsrechtlichen Betriebsprüfungen in den Unternehmen.

Je mehr Solo-Selbstständige als Scheinselbständige eingestuft werden, desto mehr Menschen zahlen in das Sozialversicherungssystem ein.

5. Ein Blick nach England – Praktischer Lösungsansatz im Umgang mit dem Thema Scheinselbstständigkeit

Auch in England spielt die Frage der Scheinselbstständigkeit für Auftraggeber und Auftragnehmer zunehmend eine Rolle. Dort findet sich auch eine „Art“ Statusfeststellungsverfahren, aber wesentlich einfacher und unkomplizierter als wir es in Deutschland kennen.

Aktuell gibt es eine BETA-Version auf der Website des englischen Finanzamts HMRC (Her Majesty’s Revenue and Customs). Mit diesem Tool kann der Status Arbeitnehmer oder Selbstständiger online abgefragt werden kann. Den Link zur Online-Abfrage finden Sie hier:

Der Clou: Beantwortet der Auftragnehmer oder Auftraggeber den Fragenkatalog wahrheitsgemäß und den Tatsachen entsprechend, ist das Ergebnis dieser Online-Abfrage für das HMRC bindend!

Jeder mittelständische Unternehmer kann also den Fragenkatalog online beantworten und das Ergebnis als PDF-Datei abspeichern und archivieren.

Eine einfache, unkomplizierte und vor allem kostenlose Variante, die es Unternehmen ermöglicht auch ohne Rechtsanwälte und Steuerberater eine verbindliche Auskunft zu erhalten. Vor allem: Im Gegensatz zu Deutschland ist hier das Ergebnis berechenbar und führt somit zu wesentlich mehr Rechts- und Planungssicherheit.

Auch wenn es das Grundproblem unserer Sozialversicherungssyteme in der Arbeitswelt 4.0 nicht lösen wird, ist es eine praktische und sinnvolle Übergangslösung.

6. Lösungsansätze für die Zukunft und Herausforderungen

a. Alle zahlen in einen Topf

Unter Sozialstaatsgesichtspunkten gibt es keinen nachvollziehbaren Grund, Selbstständige nicht in die gesetzliche Rentenversicherung verpflichtend mit aufzunehmen. Es ist dann ein Sozialstaat, wenn alle in einen „Topf“ einzahlen, auch Rechtsanwälte, Steuerberater, Künstler oder Beamte. Wie viel staatliche Verwaltung wir uns als Gesellschaft wohl sparen würden, wenn es nicht viele verschiedene Versorgungskammern und „Rententöpfe“ gäbe. Dass in Zeiten einer digitalen Revolution unserer Arbeitswelt unser Sozialversicherungssystem vollständig neu erdacht und geregelt werden muss, ist keine neue Erkenntnis.

Nach dem Vorhergesagten ist aber nicht erkennbar, dass es hierfür ernsthafte politische Bestrebungen gäbe. Fairerweise wird man aber auch anerkennen müssen, dass die Lobby der einzelnen Berufsgruppen sich nach allen Kräften dagegen wehren wird.  

Das Sozialversicherungsrecht steht aus unserer Sicht aber noch vor einer ganz anderen Herausforderung:

b. Eine Generation von digital nomads zieht durch die Welt

Die Generation Y (das sind die heute Mitte 20 bis Mitte 30-Jährigen) wird die Generation sein, die die stark zunehmenden Sozialversicherungsbeiträge  werden zahlen müssen, weil die Babyboomer-Generation in Rente geht.

Zugleich ist es die Generation, die erstmals ihre Arbeitsleistung digital auf dem gesamten Weltmarkt anbieten kann, aber mit ihm auch in Konkurrenz steht.

Es ist auch eine Generation, die die Reisefreiheit und die Möglichkeit von jedem Ort der Welt aus zu arbeiten, nur zu gern für sich in Anspruch nimmt und den sicheren, lebenslangen 9-to-5 Job verschmäht.

Ein sehr interessantes Beispiel von hochqualifizierten jungen Menschen (Jurist mit Prädikatsexamen und angehende Bankerin), die als digital nomads durch die Welt ziehen und vermutlich nicht – in ihren besten Berufsjahren – in das deutsche Sozialversicherungssytem einzahlen finden Sie in diesem Artikel

Solo-Selbstständigkeit oder „das Freelancer-Dasein“ bieten dieser Generation (und erst recht den nachfolgenden Generationen) die Möglichkeit, eben so zu arbeiten. Es sind also keine prekären Beschäftigungsverhältnisse, denen diese neue Generationen ausgesetzt sind, sondern es ist Ausdruck ihrer digitalen Wunscharbeitswelt. Diese Generation zieht es vor, Einsparungen beim Einkommen in Kauf zu nehmen, wenn sie dafür flexibel und ortsunabhängig arbeiten können.

Bestes Beispiel hierfür ist auch die Gaming Branche mit dem E-Sport: Eine Branche die vor allem digitale Dienstleistungen einkauft, vom klassischen E-Sportler, zum Social-Media Manager bis hin zum Content-Creater oder Data-Analysten. Das sind Dienstleistungen, die von jedem Ort der Welt aus erbracht werden können. Eine nie dagewesene Mobilität in der Arbeitswelt. Gleiches gilt für die sog. Gig-Economy. Das sind Plattformen, über die Freelancer ihre Dienstleistungen weltweit anbieten können.

Wenn es so einfach ist, von der ganzen Welt aus zu arbeiten, warum sollten hochqualifizierte digital natives dann noch in Deutschland bleiben?

Selbst ich als Rechtsanwältin und Künstlerin erbringe mittlerweile meine Dienstleistungen regelmäßig ins europäische Ausland oder Drittstaaten, ohne mein Büro dabei verlassen zu müssen.

Hier stellt sich für uns mittlerweile auch noch eine ganz andere Frage: Warum sollten diese Freelancer/Solo-Selbstständigen überhaupt in ein Sozialversicherungssystem eines bestimmten Landes einzahlen?

Arbeitet ein Freelancer (deutscher Staatsangehörigkeit) für einige Jahre in Deutschland, dann in den USA, später in Südostasien und schließlich wieder innerhalb der EU, wäre es für ihn überhaupt nicht praktikabel in die Sozialversicherungskassen verschiedener Länder einzuzahlen. Und wie unpraktikabel wäre es für solche Menschen, später im Rentenalter ihre Ansprüche in verschiedenen Ländern durchzusetzen zu müssen?

Daran zeigt sich, warum Freelancer/Solo-Selbstständige sehr wohl ein berechtigtes Interesse daran haben selbst zu entscheiden, ob sie in das Sozialversicherungssystem des Landes in dem sie aktuell arbeiten einzahlen oder nicht. Werden die Freelancer durch die Scheinselbständigkeit beispielsweise in Deutschland dazu gezwungen in unsere Sozialkassen einzuzahlen, wird das den heutigen Arbeitsverhältnissen, der sog. Arbeitswelt 4.0, schlichtweg nicht mehr gerecht. Schließlich sollte Deutschland ein großes Interesse daran haben, das junge qualifizierte mutige Menschen das Land eben nicht verlassen und jedenfalls Anreize dafür geben, dass sie in Deutschland ihren steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Sitz behalten.

Gleichwohl kann natürlich nicht die Lösung sein, dass sich jeder dem Sozialsystem nach Gutdünken entziehen kann oder Unternehmer ihre Mitarbeiter in die Solo-Selbstständigkeit zwingen, um Beitragszahlungen zu umgehen.

Daran zeigt sich, dass unser Sozialversicherungssytem vollständig neu erdacht werden muss.

Nach alledem ist traurigerweise festzuhalten, dass es für digitale Unternehmen aktuell wesentlich attraktiver ist, einen Freelancer aus einem Drittstaat zu beauftragen, als aus Deutschland. Für Freelancer wiederum ist es wesentlich attraktiver, vom Ausland aus zu arbeiten. 

Weniger Einzelfallgerechtigkeit und mehr gesetzliche Pauschalierung wäre für Unternehmen, Selbstständige und Arbeitnehmer wünschenswert. So könnten sich die Menschen wieder mehr auf ihre fachliche Arbeit und die Entwicklung neuer Ideen konzentrieren, anstatt sich um diverse rechtliche Fallstricke des deutschen Steuer- und Sozialrechts zu sorgen.